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AutorenbildDr Julien Drouart

Alec Empire: Musikalischer Aufstand der Wiedervereinigung

Aktualisiert: 23. Juni 2023

Alec Empire, Gründer des Kollektivs Atari Teenage Riot, ist eine Schlüsselfigur im Berlin der 1990er Jahre. Er ist ein politischer Akteur im Kontext der Erneuerung der deutschen Identitäten.


Die 1990er Jahre: Berlin erfindet sich neu

Alec Empire ist ein erstaunlicher Darsteller.

Der Fall der Mauer und das Verschwinden des ostdeutschen Staates eröffneten in Berlin eine unruhige Zeit, in der sich die Möglichkeiten vervielfachten. Einige, wie der amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama, verkündeten das "Ende der Geschichte" und den vollständigen Triumph der liberalen Demokratie. Für andere offenbarte das Fehlen eines ideologischen Gegengewichts zum kapitalistischen Modell das inakzeptable Risiko eines politischen Status quo und einer kulturellen Stagnation.


Bis dahin hatte West-Berlin als territoriale Enklave Unterschiedlichkeit und Rebellion kultiviert. Die Kultur war hauptsächlich politisch: Sie nahm den öffentlichen Raum ein und wenn sie nicht versuchte, den Einzelnen, insbesondere die Jugend, politisch zu erziehen, so versuchte sie doch mindestens, Identitätsbastionen zu schaffen. Diese Gegenkultur verband sich mit dem Rhythmus von Punk- und Industrial-Musik, Hausbesetzungen, Demonstrationen und autonomen Partys.


Bereits zeichneten sich die Unterschiede zwischen Alternativen und Radikalen ab, wobei letztere den ersteren vorwarfen, sie hätten auf politisches Engagement verzichtet und einen "konformen" Lebensstil angenommen. Das "Ende der Geschichte" beschleunigte die fortschreitende Spaltung und viele Menschen wanderten in das ehemalige Ost-Berlin aus. Neue Zentren des Protests entstanden als Bruch mit der Vergangenheit und boten neue Orte des kollektiven Experimentierens. Die Gegenkultur behielt ihre Punk-Attribute bei und verschmolz sie mit der elektronischen Musik, die seit Ende der 1980er Jahre demokratisiert worden war.


Aber die Wucht der historischen Ereignisse, ihre Dringlichkeit und ihre vermeintliche Unerbittlichkeit belasteten die Bewegung, die sich in ihren avantgardistischsten kulturellen Formen radikalisierte. So wurde 1992 die Gruppe Atari Teenage Riot (ATR) gegründet.


Alec Empire und die politische Verankerung


Eines der Gründungsmitglieder der Band ist Alexander Wilke-Steinhof, dessen Künstlername Alec Empire lautet. 1972 in West-Berlin geboren, wuchs er in einem hochpolitischen Familienumfeld auf, verwurzelt in der Linken und im antifaschistischen Kampf. In den 1980er Jahren entdeckte er eine musikalische Berufung, die zum Mittel für sein politisches Engagement wurde. Enttäuscht von der Rap-Musik, die er für kommerziell korrumpiert hielt, und der Punk-Musik, die er für veraltet hielt, übernahm er die Rave-Party-Szene und machte sich die Politik der urbanen Wiederaneignung zu eigen, die von der autonomen Bewegung vertreten wurde.


Die ATR ist also als politisches Instrument zu sehen, und ihre Gründung ist vor allem eine Reaktion auf das Aufkommen einer rechtsextremen Szene in den neuen Bundesländern, insbesondere in Berlin. In gewisser Weise wurde die Band zu einer politischen Organisation.


Ein kraftvoller und radikaler Klang

Atari Teenege Riot tritt für Antifaschismus ein.

Alec Empire tritt für Autonomie und Antifaschismus ein. Kulturell stellt er sich gegen das Phänomen der Love Parade und wirft ihr vor, die Illusion eines Konsenses und eines unerreichbaren Zusammenlebens zu verbreiten, solange das kapitalistische System besteht. Statt der klaren und farbenfrohen Klänge der Love Parade bevorzugt er speiende Klänge und eine brutale, gewalttätige Sprache, in der die Punk-Wurzeln durch den industriellen Beitrag sublimiert werden.


Die musikalische Handlung soll nicht in Trance versetzen, sondern zur Revolte und zum politischen Engagement anregen. Am Rande der autonomen Parteien produzierte die Band mehrere Alben bis zu ihrem Verschwinden im Jahr 2000. Extrem rachgierige Tracks, die zur Zerstörung Deutschlands aufriefen, Unrecht mit Gewalt beantworteten und die Symbole der bewaffneten Stadtguerillagruppen der 70er Jahre wieder aufleben ließen, katapultierten sie an die Spitze der autonomen Szene und brachten ihnen internationalen Ruhm.


Die deutschen Behörden reagierten mehrmals, insbesondere zensierten sie 1996 ihr Album The Future of War, das den Rassismus des wiedervereinigten Staates anprangerte. Am 1. Mai 1999 beteiligte sich die Band mit ihrer Musik an den städtischen Unruhen, bei denen es zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und autonomen Demonstranten kam. Tatsächlich war es ein echtes letztes Gefecht für eine Gruppe, die das radikale Berlin der frühen 1990er Jahre verkörperte.


Die Zukunft gibt es nicht mehr


Alec Empire ist das führende Genie hinter Digital Hardcore, einem Stil, der Punk und Elektro verbindet und für den er die musikalischen und kämpferischen Grundlagen legt. Er präsentiert ein politisches Programm, das den Aufruhr in der Musik festhält.


Aber es wäre falsch zu glauben, dass das Kollektiv, das er mit anderen gegründet hat, ein soziales Phänomen war. Ihr politischer Einfluss war recht gering und auf sehr kleine Kreise beschränkt. Es wäre ebenso falsch zu glauben, dass die ATR versuchte, sich an die Stelle traditioneller politischer Aktionen zu setzen, zumindest der anarchistischen, autonomen oder antifaschistischen Traditionen.


Alec Empire rief zu Widerstand, Wut und Gewalt gegen den Staat, gegen Faschismus und bürgerlichen Konformismus auf, hatte aber gleichzeitig einen sehr klaren Blick auf die Machbarkeit und den Erfolg einer allgemeineren Umwälzung der Gesellschaft. Mehr als eine Ablehnung der Zukunft war es das Fehlen einer Zukunft, das er anprangerte. Der Strom, den er in Gang gesetzt hatte, konnte nur in einem bestimmten, zwangsläufig zeitlich begrenzten Rahmen existieren.


Künstler im Angesicht historischer Umbrüche

Alec Empire bezieht sich darauf, ein Anarcho-Syndikalist zu sein.

Perioden großer Umwälzungen provozieren in ihren Anfangsphasen immer die Befreiung kreativer Kräfte. Einige Künstler und Denker, die zuvor durch konventionelle und "normale" Repräsentationssysteme eingeschränkt waren, nutzen ein Ereignis, eine Periode des Aufschwungs, um ihre Werke und Schriften voranzubringen. Sie werden so zu Wegbereitern einer Bewegung, aus der sie Inspiration schöpfen und die sie ihrerseits beeinflussen.


Dieses Phänomen tritt in der Geschichte regelmäßig auf. 1917 hatten sich viele Surrealisten und Konstruktivisten den Reihen der russischen Revolution angeschlossen. In den 1960er Jahren schufen die Kämpfe um die Entkolonialisierung und die demokratischen Rechte einen günstigen Kontext für die kulturelle Befreiungsbewegung. Man könnte sogar eine Parallele zwischen den großen Entdeckungsreisen und der dritten Periode der Renaissance ziehen.


Diese historischen Zwischenspiele sind intensiv, aber auch sehr kurz. Wenn sich das Fenster schließt, verblasst die kulturelle Emulation und verschwindet.


Gegen eine bestimmte Idee der Wiedervereinigung


Das Kollektiv, das Alec Empire gegründet hat, ist auch Teil einer besonderen historischen Dynamik, nämlich der der deutschen Wiedervereinigung. Aber das Verhältnis ist antagonistisch, denn Alec Empire ist gegen diese Bewegung. Seine Haltung ist extrem pessimistisch, denn er hält diese neu gefundene nationale Einheit für das Schlimmste und in jeder Hinsicht für eine ideologische Niederlage.


Insofern ist Alec Empire das Produkt einer sterbenden Welt, einer alten Welt, der das "Ende der Geschichte" angekündigt wurde. Die Kunstform konnte nur verschlimmert werden. Unabhängig von der Botschaft, die er übermittelte, und der eigentlichen Qualität seiner Musik ist er ein hervorragender Indikator für eine unruhige historische Periode. Trotz seiner Persönlichkeit war er eines der Gesichter der Ablehnung einer bestimmten Vision der deutschen Wiedervereinigung.


Danach startete er eine Solokarriere als DJ mit einigem Erfolg und versuchte sich an einer zweiten Version von ATR, ohne den Elan der 1990er Jahre wiederzugewinnen.

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