Rudi Dutschke, eine Ikone der Studentenbewegung der 1960er Jahre, prägte eine ganze Generation mit seinem Charisma und seiner Suche nach einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
Ein widerspenstiger Geist
Rudolf Dutschke, bekannt unter seinem Kosenamen Rudi, war eine emblematische Figur des moralischen und politischen Umbruchs in Westdeutschland in den 1960er Jahren. Geboren während des Zweiten Weltkriegs, wuchs er später in der sowjetischen Besatzungszone auf, nicht weit von Ost-Berlin. Sein politisches Bewusstsein entwickelte sich schon früh in seiner Jugend, insbesondere sein Widerstand gegen die Remilitarisierung Deutschlands und seine kritische Sicht auf die kollektive Amnesie über die nationalsozialistische Vergangenheit.
Nach dem Abitur 1958 verweigerte er den Wehrdienst, was ihn an einem Hochschulstudium in der DDR hinderte. Er nutzte die relativ offenen Grenzen, um in West-Berlin zu studieren und arbeitete als Sportjournalist für die lokale Presse. Er zog dauerhaft nach West-Berlin, wo er kurz nach dem Mauerbau ein Soziologie-Studium an der Freien Universität begann.
Theoretischer Beitrag
Dutschke wurde in die existenzialistische Philosophie eingeführt und geriet bald unter den Einfluss der Denker der "Frankfurter Schule". Er beschäftigte sich mit der kritischen Theorie Max Horkheimers, reflektierte die Dekonstruktion Martin Heideggers und dachte vor allem durch die Arbeiten von Herbert Marcuse über die Erneuerung der sozialen Strukturen der Industriegesellschaft nach.
Ohne deren ökonomische und philosophische Prinzipien zu verwerfen, stellt Dutschke das Scheitern der marxistischen Theorie fest und hinterfragt die Präponderanz des Arbeiterproletariats im revolutionären Prozess. Für ihn wird die Avantgarde die intellektuelle Jugend sein. Denn die Generation Dutschke kannte weder den Krieg, noch das alte Regime. Sie hatte die Reife erlangt und lehnte die traditionellen Codes, den Autoritarismus und die Hierarchien ab, die in allen sozialen Beziehungen vorhanden waren, d.h. in der Fabrik und am Arbeitsplatz, aber auch in der Schule und in der Familie. Als Anhänger eines nicht-autoritären Sozialismus näherte er sich den situationistischen Ideen und trat 1964 in die politische Führung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes ein.
Politische Perspektiven
Die Studentenbewegung profitierte von der Verbindung zweier wichtiger Faktoren. Zunächst einmal machte die Führung des Kalten Krieges in Südamerika und vor allem in Südwestasien Dutschke und anderen bewusst, dass der von ihnen angestrebte revolutionäre Prozess nur global sein konnte. Das stalinistische Dogma eines Sozialismus in einem Land wird durch dieses Gelöbnis des Internationalismus in Frage gestellt, oder die Wiedergeburt einer linksradikalen Romantik, die man als "Dritte Weltistisch" bezeichnen würde.
Als dann 1966 in Westdeutschland die Große Koalition an die Macht kam, die die Sozialdemokraten der SPD und die Christdemokraten der CDU vereinte, verschärfte sich die politische Auseinandersetzung zwischen denen, die nicht stillhalten wollten, und denen, die den Status quo wollten.
Als herausragender Redner mit flamboyantem Charisma etablierte sich Dutschke als Vorsitzender einer außerparlamentarischen Opposition und verwickelte die westdeutsche Studentenbewegung in den Kampf gegen den Krieg in Vietnam und gegen die Präsenz ehemaliger Nazis in den höchsten Ebenen des Staates. Sein Aktivismus brachte ihm eine Verleumdungskampagne und eine Hexenjagd durch eine bestimmte Presse ein. Im April 1968 wurde er bei einem Attentat am Kufürstendamm in Berlin schwer verletzt und zog sich zumindest bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre aus dem politischen Leben zurück.
Die Revolution neu denken
Dutschke ist ein Internationalist, der die nationale Frage nicht aufgibt. Er behauptet, ein Marxist zu sein, glaubt aber nicht an die historische Rolle der Arbeiterklasse. Er verurteilte vehement den imperialistischen Krieg, soziale Ungerechtigkeiten und die Weigerung der älteren Generation, ihre Verantwortung zu übernehmen. Dennoch würde Dutschke niemals zu zivilem Ungehorsam, bewaffnetem Kampf oder allgemeiner zu Gewalt aufrufen.
Diese Verweigerung der direkten Aktion sollte nicht als Eingeständnis von Schwäche oder als Zeichen der Gewöhnung an kleinbürgerliche intellektuelle und akademische Kreise gesehen werden. Dutschke glaubt fest an den Legalismus und akzeptiert den Kapitalismus insofern, als er eine Umgestaltung des Systems erlaubt, wenn die Stufen der Macht erreicht sind. In diesem Sinne bringt ihn sein strukturalistisches Denken näher an gramscianische als an marxistische Theorien. Ein weiterer Erklärungsfaktor ist, dass Dutschke tief religiös ist und revolutionäre (nicht marxistische) Prinzipien als eine Erweiterung christlicher Ideale betrachtet. Sein Sohn Hosea-Che huldigt damit dem Propheten Israels Hosea und dem Che Guevara.
Bald sind die bleiernen Jahre
Mit dem Attentatsversuch und dem anschließenden Exil von Rudi Dutschke wurde Westdeutschland eines politischen Ventils beraubt, das zu einer friedlichen Modernisierung der Gesellschaft hätte führen können. In der Tat war es der Verlust einer charismatischen, aber auch intellektuell brillanten Persönlichkeit. Dies geschah zu einer Zeit, als der demokratische Weg die bevorstehende Wahl eines Willy Brandt ankündigte, der die Arbeit der Reue über Deutschlands Nazi-Vergangenheit leisten würde. Ein Rudi Dutschke, auch außerhalb der Nationalen Volksvertretung, hätte eine aktive Rolle bei diesem Übergang gespielt und versucht, einen breiteren Konsens zur Versöhnung der Nation zu erreichen. Das mag so sein.
Aber als Folge des Attentats von 1968 brach die Studentenbewegung aus und eine Minderheit wandte sich der direkten Aktion mit den Tupamaros und der Roten Armee Fraktion zu. Die 1970er Jahre waren Jahre des Terrors. Andere hingegen setzten ihr demokratisches Engagement fort und gründeten 1979 die politische Partei Die Grünen.
Rudi Dutschke gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Partei. Von den Ereignissen des April 1968 in Berlin hat er sich nie erholt.Er starb im Dezember 1979 an den Folgen seiner Verletzungen. Obwohl er nicht sein ganzes Leben in Berlin verbracht hat, bleibt er ein starkes und sinnbildliches Symbol einer Epoche des Übergangs, das seinen Platz im Berliner Pantheon hat.
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