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AutorenbildDr Julien Drouart

Denkmal des 17. Juni 1953: Die DDR auf dem Prüfstand der Realität


Denkmal des 17. Juni 1953: Die DDR auf dem Prüfstand der Realität

Das Denkmal des 17. Juni 1953 in Berlin verdreht geschickt ein ostdeutsches Fresko über den Aufbau des Sozialismus, um die DDR besser mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren. Es ist ein Modell der doppelten Lesung und spielt mit Kontrasten und Perspektiven.


Ein Besuch des Denkmals des 17. Juni 1953 lohnt sich. Es ist auch ein persönliches Highlight.


Die Ausrufung der DDR im Oktober 1949 fand im ehemaligen Luftfahrtministerium des Hitlerreiches statt, einem der wenigen Gebäude im Stadtzentrum, das die Bombenangriffe überstand. In diesem Gebäude wird nun das Haus der Ministerien untergebracht. Der neue Staat will mit der nationalsozialistischen Vergangenheit brechen und ruft zum Aufbau einer brüderlichen Gesellschaft auf, in der die Menschheit in Gleichheit und materiellem Überfluss lebt: dem Sozialismus. Um diesen Neuanfang zu feiern, entwarf der Künstler Max Lingner ein riesiges Mosaik unter der Veranda des Hauses der Ministerien und überdeckte dabei ein altes Fresko, das die Wehrmacht verherrlichte.


Die ostdeutsche Propaganda täuscht die Bevölkerung nicht, die die täglichen Einschränkungen und die politische und gewerkschaftliche Unterdrückung nicht mehr ertragen kann. Viele flohen weiterhin nach Westdeutschland. Der Tod Stalins im März 1953 weckte die Hoffnung auf eine mögliche Liberalisierung des Regimes oder zumindest eine gewisse Lockerung. Im Gegenteil, die regierende SED provozierte allgemeine Unzufriedenheit, indem sie das Arbeitstempo ohne Lohnerhöhungen erhöhte.


Am 17. Juni 1953 brach die Revolte im ganzen Land aus. In Berlin marschierten Arbeiterzüge zum Haus der Ministerien und schimpften auf die Regierung vor deren Fenstern. Als Reaktion darauf rief die ostdeutsche Führung die Rote Armee herbei, die die Bewegung niederschlug. In den folgenden Wochen kam es zu mehreren zehntausend Verhaftungen. Dieses Ereignis hat die innerdeutschen Beziehungen und das kollektive Gedächtnis nachhaltig geprägt, so dass die BRD den 17. Juni bis zur Wiedervereinigung zum Nationalfeiertag machte. Das Fresko von Max Lingner ist erhalten geblieben, wird aber seit 2000 durch ein zweites ergänzt.

Der Aufbau der Republik, von Max Lingner in Berlin.

Die Geschichte zweier gegensätzlicher Fresken


Das Denkmal des 17. Juni 1953 befindet sich an einer ziemlich belebten und lauten Straße, nicht weit vom Potsdamer Platz entfernt. Die Bedingungen für einen Besuch im Freien sind oft unbequem. Das ehemalige Haus der Ministerien der DDR beherbergt heute das Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch ist es der neoklassizistische Stil des Nationalsozialismus, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Fast 90 Jahre nach seiner Eröffnung ist das imposante Gebäude immer noch beeindruckend.


Ein Wandgemälde unter Glas reproduziert auf dem Boden das Panoramafoto der Demonstranten vom 17. Juni 1953. Das Schwarz-Weiß-Bild ist nicht kommentiert oder datiert: es gibt keine Hinweise auf den Kontext oder das Ereignis. Dennoch sind einige Meter weiter an der Seite Informationstafeln aufgestellt. Wenn Sie nach oben schauen, können Sie im Hintergrund unter der Veranda das farbenfrohe Fresko von Max Lingner erkennen. Auch dieses ist nicht kommentiert und überlässt die gezeichneten Szenen der Interpretation jedes Einzelnen.


Der Aufbau der Republik verkörpert den Geist der Erneuerung. Der Aufbau des Sozialismus mobilisiert die gesamte Gesellschaft: die Vereinigung der Arbeiter- und Bauernklasse mit den Intellektuellen; die Betreuung der fröhlichen und militanten Jugend; das Baugewerbe, die Metallindustrie und die Landwirtschaft; die Verherrlichung der stalinistischen Familie und des Pazifismus. Die neue Welt ist in Bewegung, sie ist auf dem Vormarsch. Die Welt ist auch schön und fröhlich, jung und stark. Sie ist ein Versprechen auf ein glückliches Morgen. Ein uneingelöstes Versprechen, wie das Fresko mit den Demonstranten des 17. Juni 1953 unterhalb des Gebäudes andeutet.

Das Wandgemälde von Wolfgang Rüppel zum Gedenken an die Demonstranten vom 17. Juni 1953.

Die Kraft des Kontrastes


Das Fresko von Max Lingner stammt aus den frühen 1950er Jahren und zeigt die Entstehung des ostdeutschen Staates. Sein Stil ist der sozialistische Realismus, der die Idealisierung der Realität darstellt. Mit anderen Worten, es handelt sich um Propaganda. Die Ereignisse vom Juni 1953 widersprechen dem hochtrabenden Plan der DDR-Führung auf bittere Weise. Die Ideologie wird von der Realität eingeholt. Die Diskrepanz zwischen den beiden Fresken wird dadurch noch deutlicher.


Das Denkmal des 17. Juni 1953 bewahrt die Überreste der Vergangenheit und ändert sie auf subtile Weise. Die einfache Hinzufügung eines zweiten Wandbildes ermöglicht es, die Widersprüche der DDR und den absurden Willen der damaligen Machthaber, anstelle des Volkes zu regieren, zu erfassen. Noch besser ist, dass das Fehlen von Kommentaren es jedem ermöglicht, die politische Tatsache zu interpretieren, aber auch den historischen und ästhetischen Wert des Freskos von Max Lingner zu schätzen, das, auch wenn es manchen nicht gefällt, dennoch zum deutschen Kulturerbe gehört.


Das suggestive Ensemble ist eine Erinnerungsleistung von hoher Qualität. Es versucht nicht, das ursprüngliche Werk zu verändern, sondern bietet eine kontrastreiche Wahrnehmung der Ereignisse. Im Vergleich dazu wurden andere ostdeutsche Gedenkstätten nach der deutschen Wiedervereinigung tiefgreifend und heimtückisch verändert, insbesondere das Marx-Engels-Forum in Mitte.

Das ehemalige Haus der Ministerien der DDR, heute Finanzministerium der Bundesrepublik Deutschland, in Berlin.

Pro

  • Ein Relikt der ostdeutschen Propaganda

  • Der Kontrast zwischen Farbe und Schwarzweiß

  • Die doppelte Lesbarkeit der Orte

Kontra

  • Sehr begrenzte Informationen

  • Schwierige Besuchsbedingungen

  • Eine relativ kurze Besuchszeit

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