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AutorenbildDr Julien Drouart

East Side Gallery: Ästhetische Verwirrung


East Side Gallery : le désarroi esthétique

Die East Side Gallery ist der längste noch sichtbare Abschnitt der ehemaligen Berliner Mauer. Der Komplex ist vor allem für die vielfältigen und farbenfrohen Fresken bekannt, die ihn seit 1990 bedecken.


Ein Besuch der East Side Gallery ist optional


Im November 1989 war der Fall der Berliner Mauer der Ausgangspunkt für die Ereignisse, die ein Jahr später zur Wiedervereinigung führten. Die Öffnung der Grenzen leitete den Prozess ein, löste aber die deutsche Frage nicht endgültig. Die Geschichte verläuft nicht linear und im Winter 1989/90 war noch alles denkbar. Unter dem Druck der Bevölkerung hätte die DDR eine demokratische Wende einleiten und weiter existieren können.


Der eigentliche Wendepunkt kam mit den ostdeutschen Parlamentswahlen am 18. März 1990. Der Sieg der Koalitionsparteien, die für einen Anschluss an Westdeutschland eintraten, bedeutete das endgültige Aus für die DDR. Der Zusammenbruch des ostdeutschen Staates leitet eine neue Sequenz der Friedlichen Revolution ein. Von April bis September 1990 wurde Ost-Berlin zum Experimentierfeld für alle Utopien: Die Stadt erlebte einen unaufhaltsamen politischen, sozialen und künstlerischen Aufruhr.


Im Frühjahr eigneten sich rund 100 Künstler aus der ganzen Welt einen langen Abschnitt der Mauer am Flussufer in Ost-Berlin an. Ihre Werke stellen die deutschen Identitäten in Frage und treten für Reisefreiheit, Pazifismus und Universalismus ein. Die Themen sind verbindend und die Symbole sind stark. Diese Außenausstellung, die später East Side Gallery genannt wurde, zeugt von der Begeisterung der Zeitgenossen und veranschaulicht ihre Hoffnungen auf eine bessere Welt.


Viele Werke sind ikonisch und weltberühmt. Sie tragen auch zu einem bestimmten Bild bei, das Berlin von sich selbst vermitteln möchte. Jedes Jahr wandern Millionen von deutschen und ausländischen Besuchern die East Side Gallery hinauf.

Des touristes le long de l'East Side Gallery à Berlin.

Authentizität als Trompe-l'oeil


Die East Side Gallery befindet sich zwischen dem Ostbahnhof und der U-Bahn-Station Warschauer Straße. Es ist besser, von ersterem aus zu starten, da das Viertel um die Warschauer Straße herum viel einladender ist und es viele Möglichkeiten zum Essen und Trinken gibt.


Die Fresken bedecken den inneren Teil der Mauer. Der Besucher geht also die East Side Gallery von West nach Ost entlang der Straße auf und ab, wobei er mit einem ziemlich lauten Verkehr konfrontiert wird. Der Bürgersteig wurde nicht verbreitert und die Menschen drängen sich auf dem engen Raum. In Zeiten hoher Besucherzahlen bilden sich Menschenansammlungen und jeder wartet, bis er an der Reihe ist, um ein Foto vor den symbolträchtigsten Kunstwerken zu machen. Straßenverkäufer und improvisierte Künstler lockern die Szene auf.


Einige Abschnitte der East Side Gallery sind durch Sicherheitszäune versperrt. Andere hingegen sind seltsam leer. Die Stadt renoviert sie in regelmäßigen Abständen und stellt sie sogar komplett neu auf. Dabei handelt es sich jedoch nicht um identische Kopien, sondern unterliegt der Interpretation des neuen Künstlers. Aufgrund des Widerstands der Rechteinhaber wurden einige nicht renovierte Werke schlichtweg ausgelöscht. Infolgedessen entstehen neue Projekte, die dem ursprünglichen Geist fremd sind.

Le baiser fraternel entre Brejnev et Honecker, nouvelle version après rénovation en 2009.

Die Entwicklung einer verfehlten Ambition


Die East Side Gallery ist eine Abfolge von Kopien und neuen Werken. In diesem Sinne ist sie eher ein kulturelles als ein historisches Objekt. Dies wirft zwei große Probleme auf.


Erstens: Von welcher Kultur sprechen wir? Wenn es sich um die Erinnerungen an die Mauer handelt, ist die Feststellung niederschmetternd. Die Erfahrung ist nicht erzieherisch, die Werke werden der Interpretation überlassen und ihre Thematik tritt hinter der Bedeutung des Visuellen zurück. Drei Jahrzehnte lang war die öffentliche Hand nicht in der Lage, ein kohärentes Kulturprojekt zu verstetigen. Dadurch wurde die East Side Gallery in erster Linie zu einem Touristenort, der sowohl hip als auch fotogen ist. Der Besucher wird eine völlig voreingenommene Erinnerung an sie haben.


Zweitens: Welche Funktion hat die East Side Gallery? Ursprünglich war dieser Teil der Mauer ein Ort der totalen Selbstdarstellung, der Verboten trotzte und sich dem Stillstand verweigerte. Der Geist war avantgardistisch. In diesem Sinne sollte die Beziehung zum Kunstwerk nicht normalisiert werden. Von nun an wurden die Kopien der Fresken aus der Zeit heilig gehalten und sogar geheiligt. Eine Alternative wäre jedoch möglich gewesen: die Eröffnung eines Dokumentationszentrums, das die Originalwerke reproduziert, und die Umwandlung der East Side Gallery in einen Ort des künstlerischen und bürgerschaftlichen Schaffens. Übrigens blieb die andere Seite der Mauer frei zugänglich. Warum nicht auch die gesamte? Ein solcher Paradigmenwechsel würde einen immensen politischen Mut erfordern.

Test the Best est l'une des fresques les plus connues de l'East Side Gallery.

Gefällt mir

  • Einige sehr gelungene Wandgemälde

  • Das Gefühl einer bestimmten Epoche wieder aufleben lassen

  • Schöner Aussichtspunkt vom Ufer der Spree aus.

Gefällt mir nicht

  • Anarchische Aufwertung des Geländes

  • Mangelnde Authentizität der Fresken

  • Verzicht auf freie Meinungsäußerung

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