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AutorenbildDr Julien Drouart

Gedenkort für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde


Gedenkort für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde

Der Gedenkort für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde in Berlin erinnert an das Schicksal der Menschen, die in der Aktion T4, der Ermordung von geistig und körperlich Behinderten, ermordet wurden. Diese kleine Anlage ist vor allem ein Dokumentations- und Informationszentrum im Freien.


Der Besuch des Gedenkortes für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde ist fakultativ.


Der Nationalsozialismus hat seine rassischen und territorialen Ambitionen nie verheimlicht. Die großartige und monumentale Kultur, die er anstrebte, konnte seiner Doktrin zufolge nur am Ende eines siegreichen Kampfes gegen die Feinde des Reiches bestehen. Eine Vorbedingung für die Macht war die biologische Gesundung der Nation für die Vitalität der Rasse. Ausgrenzung und Segregation sind die ersten Teile dieser Politik und richten sich gegen bestimmte Gemeinschaften wie Juden, sexuelle Minderheiten oder Sinti und Roma. Die zweite Komponente ist die Ausweisung von geistig Behinderten (oder als solche dargestellten) und Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen.


Der Plan, die Rasse durch Eugenik zu revitalisieren, ist in Deutschland nicht neu. Bereits seit dem 19. Jahrhundert waren sich Ärzte und Akademiker darüber einig, dass nicht mehr einzelne Menschen, sondern ganze Bevölkerungsgruppen behandelt werden müssten. Die ersten Zwangsmaßnahmen waren Zwangssterilisationen von unheilbar Kranken, hartgesottenen Kriminellen und generell von Menschen am Rande der Gesellschaft. Die nationalsozialistische Macht ermöglicht die Institutionalisierung dieser zutiefst unmenschlichen Thesen. Unterstützt durch eine aktive Propaganda wird die eugenische Politik zu einer Frage der öffentlichen Gesundheitsfürsorge und führt zur Internierung und physischen Vernichtung von Hunderttausenden von Menschen.


Von der Zentrale in der Tiergartenstraße 4 (T4) aus koordinierte das Regime von Berlin aus die Arbeit mehrerer Tötungszentren. Von 1939 bis 1941 wird die Aktion T4 gestartet. Die Opfer werden durch eine Todesspritze und generell durch Vergasung ermordet. Die Henker sind Ärzte und Pflegehelfer, die später in den Vernichtungslagern Treblinka, Belzec und Sobibor im besetzten Polen operieren. Nach dem Krieg setzten viele ihre medizinische Tätigkeit unbehelligt fort. Erst in den 1980er Jahren und im Zuge der deutschen Erinnerungsrevolution wurden die lange Zeit vergessenen Opfer endlich offiziell anerkannt. Im Jahr 2014 wird eine Gedenkstätte am Standort der ehemaligen Nazizentrale in Berlin eingeweiht.

Dokumentation und Ehrungen am Gedenkort für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde in Berlin.

Eine Stätte, die nur spärlich zur Geltung kommt


Der Gedenkort für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde befindet sich am Tiergarten, im Schatten des Gebäudes der Philharmonie. Völlig offen gehört es zum öffentlichen Raum. Das Ensemble besteht aus zwei Teilen, die etwa zehn Meter voneinander entfernt sind. Der erste Teil ist das ursprüngliche Werk aus den 1980er Jahren. Es handelt sich um eine große vertikale Metallstruktur mit zwei gebogenen Platten, die den Raum zwischen ihnen verengen. Man kann die Absicht des Künstlers erahnen, hier einen trichterförmigen und erdrückenden Eindruck auf den Besucher zu machen, der sich in den Raum hineinbegeben würde. Es gibt jedoch keine eindeutigen Hinweise darauf, und so bleibt von dem Werk nur seine schlichte Ästhetik in Erinnerung.


Der zweite Teil wurde 2014 eingeweiht. Er umfasst ein künstlerisches Werk und vor allem ein langes Pult, das den Informationen gewidmet ist. Die Ordnung ist sowohl chronologisch als auch thematisch. Erklärende Texte zu Hintergründen, Orten und Personen sowie multimediale Zeitzeugenberichte und zahlreiche Fotos ermöglichen sowohl die Bildung als auch die Projektion. Das Ganze ist überzeugend, aber nicht vollständig. Es gibt eine Übersetzung in Braille-Schrift für sehbehinderte Menschen. Die Höhe des Pultes erschwert jedoch Rollstuhlfahrern den Zugang zu den Informationen.


Das künstlerische Werk ist eine lange Wand aus blauem, transparentem Glas. Diese stellt den Filter dar, den die deutsche Gesellschaft in der Vergangenheit - und wahrscheinlich auch in der Gegenwart - über Behinderungen legt, um sie unsichtbar zu machen. Diese Wand steht dem Rednerpult auf einer Länge von 30 Metern gegenüber und verlangt vom Besucher, dass er nach oben schaut und endlich sehen kann. Alles ist also eine Frage der Perspektive und des Blicks. Allerdings gibt es vor Ort keinen Text, der diese Überlegung explizit unterstützt, und das Ganze bleibt der Interpretation überlassen.

Der Original-Ehrenmal am Gedenkort für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde in Berlin.

Ein Definitionsproblem


Der Gedenkort für die Opfer der NS-Euthanasie-Morde ist ein unvollständiges und unzusammenhängendes Ganzes. Die fehlende Harmonie ist das Ergebnis der Koexistenz zweier völlig unterschiedlicher und vielleicht sogar antagonistischer Kunstprojekte. Beide ignorieren sich gegenseitig und verleihen der Anlage den Geschmack des Unvollendeten. Die Politik trägt die volle Verantwortung für dieses seltsame Erinnerungsgerüst. Das Werk von 1988 ist das Produkt einer Bürgerinitiative. Mehr als auf Bildung zielte das Projekt auf offizielle Anerkennung und den Kampf gegen die Verleugnung ab. In den 2010er Jahren wurde die deutsche Erinnerungspolitik institutionalisiert, was zu einer Professionalisierung der Erinnerungsarbeit und zu politischer Korrektheit führte. Die Gedenkstätte wurde als unzureichend und zu abstrakt angesehen. So entstand 2014 ein Parallelprojekt mit einem wackeligen Ergebnis.


Wenn es sich um eine Gedenkstätte handelt, wird die emotionale Bedeutung gemindert und das Fehlen eines bedeutenden Kunstwerks oder der ursprünglichen Bausubstanz verhindert die Besinnung. Handelt es sich jedoch um ein Dokumentationszentrum, dann fehlt es den Informationen, so gut sie auch sein mögen, an Vollständigkeit. Andererseits sind die Bedingungen für einen Besuch nicht so inklusiv, wie man es sich erhoffen würde: eingeschränkte Zugänglichkeit, keine Bänke und kein Schutz vor Sonne oder Regen. Die Frage nach der Errichtung einer nationalen Gedenkstätte ist legitim, sie ist sogar von größter Bedeutung im Namen der Anerkennung, aber auch für das demokratische Ideal, das nicht das Gesetz der Mehrheit, sondern den Schutz von Minderheiten bedeutet. Eine Lektion für morgen.


Bis zu einer grundlegenden Veränderung der Gedenkstätte sollte man seine Zeit am besten mit der Lektüre eines der Bücher des Historikers Aly Götz verbringen. Noch besser ist es, wenn Menschen, die für dieses Thema empfänglich sind, in die nahe gelegene Stadt Brandenburg an der Havel fahren und die bemerkenswerte Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde auf dem Gelände eines der sechs Tötungszentren während der Aktion T4 besuchen. Dort ist eine geführte Besichtigung möglich. Informationen ersticken nicht die Emotionen und ein echter Ort der Besinnung bietet die Möglichkeit, der Opfer der unsäglichen Verbrechen von damals zu gedenken.

Vue d'ensemble sur le Mémorial aux Victimes des politiques eugéniques nazies à Berlin.

Pro

  • Die Symbolik der transparenten Mauer

  • Präzise Informationen

  • Ein schöner Aussichtspunkt auf die Philharmonie

Kontra

  • Ein schöner Aussichtspunkt auf die Philharmonie.

  • Fehlender Ansprechpartner an einem Ort der Information

  • Kein Schutz vor schlechtem Wetter

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