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Karl-Marx-Allee: Der letzte Boulevard Europas

  • Autorenbild: Dr Julien Drouart
    Dr Julien Drouart
  • 4. März
  • 4 Min. Lesezeit
Karl-Marx-Allee : le dernier boulevard de l'Europe

Die Karl-Marx-Allee ist eine riesige Verkehrsader, die das ehemalige Ostberlin vom Alexanderplatz aus durchquert. Monumental und beeindruckend, spiegelt ihre Architektur die verschiedenen Sequenzen der DDR wider.


Ein Besuch der Karl-Marx-Allee lohnt sich.


Während die Abkommen von Jalta und später von Potsdam 1945 die Besatzungssektoren der Siegermächte festlegten, wurde kein langfristiger Plan aufgestellt. Würde Deutschland wieder ein geeinter Staat sein oder würde es im Gegenteil aufhören zu existieren? Die Unbestimmtheit rund um die deutsche Frage ließ die Tür für alliierte und sowjetische Initiativen ohne jegliche Absprache offen. Die Ostberliner Behörden begannen daraufhin ein irrsinniges Stadtentwicklungsprojekt mit dem Bau eines riesigen Boulevards auf den Ruinen der Frankfurter Allee. Hier sollten sich die zukünftigen Arbeiterpaläste befinden. Bei der Gründung der DDR im Herbst 1949 wurde der im Bau befindliche Komplex zu Ehren des sowjetischen Führers in Stalinallee umbenannt.


Die Bauarbeiten erstrecken sich über eine Länge von mehr als zwei Kilometern und fast drei Jahrzehnte lang. Die DDR mobilisierte ihr gesamtes menschliches und industrielles Potenzial, um das zu verwirklichen, was das Schaufenster des Sozialismus und der letzte große europäische Boulevard werden sollte. Nach den ersten vielversprechenden Abschnitten führten Herstellungsmängel und der Periodenwechsel dazu, dass das Regime eine spektakuläre architektonische Kehrtwende vollzog. In der Zwischenzeit löschte die Entstalinisierung den Namen Stalins aus und der Boulevard wurde nach dem deutschen Philosophen in Karl-Marx-Allee umbenannt. In den 1970er Jahren triumphierte der Funktionalismus, weniger aus ideologischen Gründen als aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das Ergebnis ist ein hybrides Ensemble, das wenig harmonisch wirkt, da es keine Kontinuität gibt.


Zu Zeiten der DDR waren die Bewohner des Viertels überwiegend Arbeiter und natürlich Mieter. Mit dem Ende des ostdeutschen Staates 1990 entdeckten viele die Massenarbeitslosigkeit und rutschten in die Armut ab. Die Zwangsräumungen häuften sich und ein sozialer Ort nach dem anderen wurde geschlossen. Die Karl-Marx-Allee blieb bis Ende der 2010er Jahre ein Katastrophengebiet. Am Rande der Touristenrouten hat der Boulevard Mühe, seinen früheren Glanz wiederzuerlangen. In Erwartung einer Erholung, die zweifellos kommen wird, bietet ein Besuch einen anderen Blick auf die DDR und die deutsche Wiedervereinigung.

La Frankfurter Tor sur la Karl-Marx-Allee à Berlin.

Monumentalismus und Verfall


Historisch gesehen erstreckt sich die Karl-Marx-Allee vom Strausberger Platz bis zum Frankfurter Tor. In der Praxis liegen der Abschnitt vom Alexanderplatz und der Abschnitt zum Bezirk Lichtenberg in ihrer Verlängerung, so dass sie leicht miteinander in Verbindung gebracht werden können. Es gibt deutliche sozioökonomische Unterschiede zwischen den Abschnitten. Die ersten Bereiche ab dem Strausberger Platz sind weniger dynamisch und vermitteln den Eindruck, durch eine Geisterstadt zu fahren. Wenn man sich dem Frankfurter Tor nähert, ändert sich die Stimmung unter dem Einfluss der Viertel um den Boxhagener Platz und die Rigaer Straße mit einer jüngeren, gemischten und internationalen Bevölkerung.


Der architektonische Stil folgt den Codes des sozialistischen Realismus. Die Gebäude sind imposant und geradlinig, aber dennoch nicht ohne einen gewissen Charme. Ihre Fassaden sind mit Keramiken und Ornamenten verkleidet, was dem Ganzen eine erstaunliche Klarheit verleiht. Schließlich bietet die Breite des Boulevards eine hervorragende Sicht und oft spektakuläre Perspektiven. Die Karl-Marx-Allee besitzt ein unbestreitbares ästhetisches Cachet. Die Harmonie wird jedoch sehr schnell durch die riesigen, aus Fertigteilen errichteten Gebäuderiegel gestört, die den Boulevard übersäen.


Vom Strausberger Platz bis zum Kosmos-Kino gibt es nur wenige Passanten. Dieser lange Spaziergang erfolgt zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den sehr breiten Bürgersteigen, die sich in sicherer Entfernung von der Fahrbahn befinden. Leider ist der Autoverkehr ziemlich stark, da die Karl-Marx-Allee die Hauptverkehrsachse zwischen dem Alexanderplatz und den östlicheren Bezirken ist. Aufgrund der hohen Gebäude entsteht ein ziemlich lauter Resonanzkörper. Am Ende des Korridors tauchen die beiden Türme des Frankfurter Tors auf. Ihr Stil erinnert an die französische und die deutsche Kirche auf dem Gendarmenmarkt. Auf jeden Fall steht er im Gegensatz zu dem moderneren der beiden Türme auf dem Strausberger Platz und offenbart offensichtlich einen faszinierenden Mangel an Kohäsion, der sich durch die politischen Wechselfälle in der DDR, aber auch in der Sowjetunion erklären lässt.

Détails des facades sur la Karl-Marx-Allee à Berlin.

Politische Geschichte und Architekturen in der DDR


Geschichte ist nicht linear, sondern besteht aus Sequenzen, die nicht unbedingt kausal miteinander verbunden sind. Die DDR durchläuft vier große Phasen. Die erste von 1949 bis 1961 ist die Zeit des revolutionären Enthusiasmus, des Aufbaus des Sozialismus und der rosigen Zukunft. Diese Phase endet abrupt mit dem Bau der Berliner Mauer und die DDR beginnt eine Phase der Normalisierung, was den Konsum und den Zugang zu Wohnraum betrifft. Eine dritte Periode beginnt Anfang der 1980er Jahre, die Zeit der ideologischen Zweifel und der Wirtschaftskrise, mit dem Auftreten einer Generation, die die ersten emanzipatorischen Kämpfe nicht mehr erlebt hat. In den Jahren 1988-1990 schließlich kam es zum Fall und Zusammenbruch der DDR: die Friedliche Revolution für den Westen, die Wende für den Osten.


Ursprünglich sollte die Stalinallee innerhalb von zehn Jahren errichtet werden. Das Projekt fügt sich vollständig in die erste Sequenz ein. Die Sowjetunion setzte nicht nur den sozialistischen Realismus durch, sondern auch die Wirtschaftsplanung mit zwei viel zu ehrgeizigen Fünfjahresplänen. Trotz Revolten und politischer Umwälzungen werden die Fristen eingehalten. Doch dieser Erfolg ist mit zahlreichen Produktionsfehlern erkauft. Ab Ende der 1950er Jahre sind Renovierungsarbeiten erforderlich, um die Ablösung der Fassaden zu verhindern. Als Gipfel der Unwägbarkeiten befreite sich einer der Architekten, Hermann Henselmann, von den Codes des Stalinismus und fügte 1954 modernistische und barocke Elemente an den Türmen des Frankfurter Tors hinzu. In der Zwischenzeit werden Gebäude, die einzustürzen drohen, abgerissen. Sie werden jedoch durch Bauten der zweiten Sequenz, nämlich die der Normalisierung, ersetzt. Der Realismus wird also zugunsten von vorgefertigten Riegeln aufgegeben, die viel weniger schön, aber sicherlich von besserer Qualität sind.


Die Karl-Marx-Allee ist ein völlig bastardischer architektonischer Komplex mit vielfältigen Einflüssen. An sich ist sie ein Gegenmodell zur Stadtplanung und widerspricht der Politik der Verschönerung und Einheit der Stadt. Sie ist auch ein Beispiel für das Scheitern einer erzwungenen wirtschaftlichen Planung ohne Demokratie und künstlerische Freiheit. Für den Historiker ist es im Gegenteil eine außergewöhnliche Reise, da die gesamte Geschichte und das Unglück der DDR durch ihre Architektur sichtbar wird. Heute wird die Sanierung des Viertels fortgesetzt, aber die Baustelle ist gigantisch und die deutsche Wiedervereinigung lässt auf sich warten. Auf den Dächern der Gebäude kann man erahnen, wo die großen Slogans zur Verherrlichung des Sozialismus angebracht waren. Die Slogans sind verschwunden, aber die Baugerüste sind noch da.

Fresque de la Fraternité des Peuples sur la Karl-Marx-Allee à Berlin.

Gefällt mir

  • Beeindruckende Perspektiven

  • Ein neuer Blick auf die DDR

  • Sehr breite Gehwege

Gefällt mir nicht

  • Wenig Animation und Geschäfte

  • Eine drückende Leere auf der Länge

  • Ein lauter Trichtereffekt

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